Aus Anlaß der Entscheidung der Technischen Kommission des Deutschen Aikido Bundes habe ich am 14.04.2008 dieses Interview mit Meister Hubert Luhmann geführt.
Jürgen:
Hallo Hubert.
In der vergangenen Woche hat die Technische Kommission des Deutschen Aikido Bundes getagt.
Bei dem Treffen wurden einige langjährige Aikido Meister höher graduiert.
Dir wurde der 6. Dan verliehen.
Herzlichen Glückwunsch!
Wann fand diese Sitzung statt und wer sind die anderen glücklichen Aikidoka?</p>
Hubert:
Hallo Jürgen. Die Tagung der Technischen Kommission des DAB hat am vergangenen Wochenende stattgefunden, genauer gesagt von Freitagabend bis Sonntagmittag. Insgesamt gab es fünf neue Graduierungen:
- Karl Köppel (Bundestrainer des DAB) zum 7. Dan
- Martin Glutsch aus Baden-Württemberg zum 6. Dan
- Roland Nemitz aus Schleswig-Holstein zum 6. Dan
- Ulrich Schümann aus Schleswig–Holstein zum 6. Dan
- und ich zum 6. Dan
Jürgen:
Wir möchten gerne etwas über deine “Aikido-Karriere” erfahren.
Wann hast du mit Aikido angefangen – und warum?
Besonders: warum nicht Karate, Jiu Jitsu, Judo, Kung Fu, Tae Kwon Do oder eine andere der bekannten Kampfsportarten?
Hubert:
Im Jahr 1975 habe ich zunächst angefangen im 1. Judo-Club Castrop-Rauxel Judo zu betreiben. Parallel wurde sonntags Aikido angeboten. Da mein damals bester Freund mich zum Judo gebracht hatte und nebenbei Aikido betrieb, habe ich aus Interesse am Training teilgenommen. Damals war Aikido eine völlig unbekannte Budo-Disziplin und so war der damalige Trainer, Horst Glowinski (heute ebenfalls 6. Dan Aikido und 1. Vorsitzender des Aikido-Verbandes NRW), 3. Kyu, also Grüngurt. Der zweite Trainer war Klaus Klar, wie Horst Glowinski Grüngurt. Klaus betreibt meines Wissens kein Aikido mehr. Mich hat von Anfang an die Art der Bewegung begeistert. Außerdem herrschte ein positives Klima in der Aikido-Gruppe. Da ich außerdem so etwas wie Pioniergeist verspürte, habe ich mich spontan in Aikido „verliebt“ (meine Frau hat mittlerweile akzeptiert, dass ich diese heimliche Liebe habe). Aikido wurde zur damaligen Zeit in der Sektion Aikido im Deutschen Judo-Bund angeboten und es gab nur drei Vereine und drei Aikido-Meister in NRW.
1976 kam dann mein damaliger Aikido-Lehrer Edmund Kern beruflich nach Dortmund und schloss sich unserem Verein an. Edmund war damals 1. Dan und somit hatten wir den vierten Aikido-Meister in NRW in unserem Verein. Edmund ist mittlerweile 8. Dan-Aikido. Wir haben heute keinen Kontakt mehr.
Nebenbei habe ich aus dienstlichen Gründen (ich bin Polizeibeamter) ca. 8 Jahre Ju Jutsu betrieben und habe mich (nur in Anfängen) für Wing Tsun interessiert. Da aber Aikido meine (einzige) „heimliche Liebe“ ist, habe ich andere Budo-Disziplinen schon seit einigen Jahren nicht mehr betrieben.
Jürgen:
Weißt du noch, in welchem Jahr du welchen Dan bekommen hast?
Hubert:
Ja.
Jürgen:
Wann war das?
Hubert:
Du willst es aber genau wissen – oder? O.K. Meine Prüfung zum 1. Dan habe ich 1979 auf dem Herzogenhorn im Schwarzwald gemacht. Die Prüfung zum 2. Dan habe ich ebenfalls auf „dem Horn“ gemacht, das war 1982. Dann habe ich gedacht, dass ich den Süden ja schon bereist habe und habe meine Prüfung zum 3. Dan 1986 in Northeim, das liegt in Niedersachsen (wo das ist, dass weißt du hoffentlich? [Anm.: YUP]) absolviert. Die Prüfung zum 4. Dan erfolgte dann 1992 in Einbeck, das liegt ein paar km von Northeim entfernt, genau da, wo es das leckere Starkbier gibt. Für die Prüfung zum 5. Dan bin ich dann nach Frankfurt zum Flughafen gefahren; nicht um danach wegzufliegen, sondern weil dort der Prüfungsort war. Das war im Jahr 2002.
Jürgen:
Den 5. Dan mußtest du dir noch “richtig erarbeiten”.
Mit dieser bestandenen Prüfung hattest du Kodansha erreicht, die Stufe der “gereiften Meister”.
Für die jetzt erfolgte Graduierung, Renshi, mußtest du keine Prüfung ablegen, oder?
Hubert:
Nein.
Jürgen:
Warum nicht?
Hubert:
Ein reifer Apfel fällt ja auch alleine vom Baum. Nein – im Ernst. Die Graduierungen bis zum 5. Dan sind von formellen Prüfungen abhängig, d.h. es sind auch konkrete Prüfungsaufgaben zu bewältigen. Mit dem 5. Dan sind diese „rein formellen Inhalte“ des Aikido abgeschlossen. Jetzt hat der Weg angefangen, das „wahre Aikido“ zu entdecken. Zunächst hat mir nach der Prüfung zum 5. Dan etwas gefehlt. Ich habe mit Horst Glowinski seit 33 Jahren trainiert – fast jeden Sonntag. Wir haben uns immer gegenseitig korrigiert, wenn wir Zweifel an der Wirksamkeit unserer eben ausgeführten Technik hatten. Dennoch haben wir uns im Gegensatz zu alten Ehepaaren dabei nie gestritten [Anm.: Hubert lacht]. Nach meiner Prüfung zum 5. Dan war da kein Inhalt mehr, keine Form mehr, auf die ich mich weiter konkret hätte vorbereiten müssen. Also habe ich nach den Inhalten gesucht, die ich gerade als das „wahre Aikido“ bezeichnet habe. Heute entdecke ich jeden Tag etwas Neues im Aikido. Mir ist viel deutlicher bewusst geworden, dass es im Aikido auf die Elemente und Prinzipien ankommt, nicht darauf, wer welche Form am besten kann. Meister Noquét, bei dem ich 16 Jahre Lehrgänge besucht habe hat einmal gesagt, dass o´Sensei (also der Aikido-Begründer und Lehrer von Meister Noquét) stets gesagt habe, dass ein Aikidoka nur wenige Formen benötigen würde. Techniken, gerade in der Vielzahl seien Beiwerk für die Schüler, die eine Orientierung suchen und den Mut, auf dem Weg weiterzugehen, nicht verlieren sollen.
Das weiter zu verfolgen, das ist jetzt meine Aufgabe. Außerdem habe ich einige Schüler – ich spreche von wirklichen Schülern. Meine Aufgabe sehe ich darin, ihnen ebenfalls zu eigenen Erkenntnissen auf dem Weg zu verhelfen. Ein weiteres Ziel ist es, die wertvolle Arbeit in unserem Verein, insbesondere für die jungen Menschen, die sich mir und den anderen Trainern anvertrauen, weiterzuführen. Ich bin der festen Überzeugung, dass es sich lohnt, Kinder und Jugendliche einen Teil ihres Lebensweges zu begleiten. Schön ist es dann, wenn sich wie in unserem Verein Jugendliche so engagieren, dass sie länger beim Aikido bleiben und das würde ich mir sehr wünschen, auch einmal Meister und sogar Lehrer in unserer Kunst werden.
Jürgen:
Welche Prüfung hast du als die schwierigste empfunden?
Hubert:
Alle Prüfungen waren schwierig, weil sie immer volle Konzentration erforderten. Technisch habe ich die Prüfung zum 2. Dan als schwierig empfunden, weil mir vom vielen Üben auf den Knien dieselben weh getan haben. Aber dennoch bin ich der Auffassung, dass alle Prüfungen schwierig waren.
Jürgen:
Auch ein – wenn ich so sagen darf – exzelenter Lehrer und effizienter Aikidoka wie du, hat mal klein angefangen.
Wer waren deine Lehrer?
Hubert:
Mein Lehrer war zunächst Edmund Kern, den ich viele Jahre auch als Freund begleitet habe. Außerdem habe ich mich auf die Prüfungen zum 1. und 2. Dan intensiv bei Erhard Altenbrandt vorbereitet; zu ihm habe ich auch danach noch viele Kontakte bei Lehrgängen und im Präsidium des DAB gehabt. Weiter betrachte ich die Jahre in denen ich die Ehre und das Vergnügen hatte, seine Lehrgänge zu besuchen, André Noquét als Lehrer. Meister Noquét war eine faszinierende Persönlichkeit. Letztendlich betrachte ich Alfred Heymann als meinen Lehrer. Alfred ist ein sehr herzlicher Mensch mit einer präzisen Technik, einem charismatischen Auftreten und einer loyalen Verbundenheit zum DAB. Alfred hat den DAB nie im Stich gelassen und seine Schüler motiviert, auf dem gemeinsamen Weg zu bleiben. Dies hat er nach meiner Wahrnehmung im Gegensatz zu anderen Meistern und Lehrern getan, die aus welchen Motiven auch immer, andere Wege gegangen sind. Auch das hat mir sehr imponiert.
Jürgen:
Bei deinem Aikido “Reifegrad” mußt du keine Prüfungen mehr ablegen, bist aber noch zumindest – wie ich vermute – deinem eigenen Anspruch und den Anforderungen der “Aikido-Gemeinde” verpflichtet.
Wer sind deine Lehrer?
Oder gibt es für dich jetzt nichts mehr zu lernen?
Hubert:
Der Weg hat, wie ich vorhin schon gesagt habe, gerade erst begonnen. In meinem täglichen Leben und Erleben entdecke ich so viele Dinge, die ich jetzt mit anderen „Aikido-Augen“ betrachte. Es gibt so viel zu entdecken, wobei die Technik, also die Form, zweitrangig ist. Ich betrachte Aikido heute bildlich gesprochen als ein Haus. Die Elemente und Prinzipien sind das Fundament des Hauses. Dieses Fundament ist bei allen Aikidoka gleich. Das Gebäude auf diesem Fundament baut jeder selbst; zunächst nach dem Vorbild des Lehrers, später nach eigenem Wunsch, Talent, Einstellung zum Leben usw. So entstehen viele unterschiedliche Häuser. Heute bin ich bei Lehrgängen immer wieder gespannt, welche Häuser ich zu sehen bekomme. Mein eigenes haus verändert sich ebenfalls – und das ist gut so. So lerne ich mein Haus weiter so zu verändern, dass ich mich stets wohl fühle und ich das Bedürfnis habe, es immer wieder in Details neu zu gestalten. Also – es gibt genug zu tun.
Außerdem muss ich noch die „armseeligen Hütten“ meiner Meisterschüler stützen, damit ihnen nicht das Dach auf den Kopf fällt [Anm.: Hubert lacht].
Jürgen:
Was rätst du Aikido-Anfängern und solchen Teilnehmern, die meinen, daß Aikido “nicht funktionieren” würde?
Hubert:
Üben!
Jürgen:
Was ist für dich Aikido, bzw. macht Aikido für dich aus?
Wofür ist Aikido überhaupt gut?
Hubert:
Für das Leben, für sich selbst, für andere. Aber ohne Aikido zu betreiben, ist es müßig, das zu beschreiben, denn ich kann so keine Bilder in den Köpfen der Menschen erzeugen und damit fehlt diesen Menschen eine Vorstellung des Nutzens.
Jürgen:
Warst du schon jemals gezwungen Aikido im “Ernstfall” anzuwenden?
Hubert:
Ja – sag ich aber nicht. Es ist auch nicht relevant. Wer eine effektive Selbstverteidigung sucht, der soll sehen, was für ihn die richtige Kunst ist. Es gibt genügend Anbieter. Wer Aikido betreibt, der sollte es betreiben, weil er sich selbst verbessern will.
Jürgen:
Wie siehst du die Zukunft des Aikido in Deutschland, in Europa, international und überhaupt?
Hubert:
Aikido ist anerkannter Gesundheitssport. Damit unterstützt Aikido auch unsere Gesellschaft, national und international. Aikido ist heute zwar keine Breitensportart, aber dennoch hat es einen guten Bekanntheitsgrad. Daher habe ich keinen Zweifel, dass Aikido sich auch weiter verbreiten wird – übrigens egal in welchem Fachverband.
Gerade in Zeiten, in denen demografischer Wandel und mehr Werteorientierung gefordert werden, ist Aikido ein guter Weg. Außerdem verweise ich auf das, was ich zuvor schon über unsere Jugend gesagt habe. Wichtig erscheint mir, dass die Politik – auch die Sportpolitik im Deutschen Olympischen Sportbund – endlich sieht, dass es wichtig ist, nicht nur den Spitzensport zu unterstützen. Die Förderung des Sports und so wertvoller Disziplinen wie Aikido mit flexiblen Mitteln ist ein zwingendes Muss in unserer Gesellschaft, wenn wir die Probleme der modernen Gesellschaft bewältigen wollen.
Jürgen:
Trotz Ermangelung einer eigenen Halle, packen die Mitglieder – und da besonders die Kinder – tatkräftig im Verein mit an.
Ich denke da auch an die Zeiten, als die Matten noch in einem anderen Gebäudeteil gelagert waren und erst ins Atrium transportiert werden mußten, um sie dort fürs Training hinzulegen.
Was wünschst du dir für den Verein für die Zukunft?
Hubert:
Ein Dach über dem Kopf, weiterhin eine positive Unterstützung durch die Schule.
Jürgen:
Lieber Hubert, ich danke dir für die Einblicke, die du uns gewährt hast und wünsche dir und uns allen noch viele interessante, lehrreiche und schweißtreibende Stunden auf der Matte.
Hubert:
Ich danke dir ebenfalls.